Um dir ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wenn du diesen Technologien zustimmst, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du deine Zustimmung nicht erteilst oder zurückziehst, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Wenn Trauer bewertet
Die Unschuld kleiner Kinder
Als Kleinkind stand ich am Grab meines Großvaters. Ich verstand den Tod noch nicht. Später erzählte man mir immer wieder, wie ich damals den Kranz beiseitegeschoben und gerufen habe: „Opa, komm raus, wir wollen noch spielen.“ Für die Erwachsenen war es ein Schock, für manche auch rührend. Für mich war es schlicht Normalität, denn er kam sonst immer um halb drei.
Genau darin liegt der Kern: Trauer ist nie nur Trauer. Sie wird betrachtet, kommentiert, eingeordnet, von anderen ebenso wie von uns selbst.
Wenn Blicke schwer auf einem lasten
Wer schon einmal auf einer Beerdigung war, kennt das Gefühl. Schon auf dem Weg zum Ort des Abschieds liegen die Blicke schwer auf einem. Wer steht draußen, zieht hastig an einer Zigarette. Wer bildet kleine Grüppchen. Mit wem spricht man, mit wem lieber nicht. Noch bevor man den Raum betritt, weiß man, dass man gesehen wird.
Die wichtige Unwichtigkeit der Kleidung
Im Inneren geht es weiter. Kleidung, Schuhe, Auftreten – alles wird registriert. Manche haben sich bewusst zurückgenommen, andere wirken übermäßig streng oder elegant.
„Musste sie wirklich im kleinen Schwarzen erscheinen?“
„Hätte er nicht wenigstens ein schwarzes Hemd anziehen können?“
Gleichzeitig laufen die Gedanken im eigenen Kopf:
„Reicht das, was ich anhabe?“
„Was passiert, wenn es regnet und die Schuhe im Matsch versinken und danach mit dreckiger Hose im Café sitzen?“
Auch Kinder geraten unweigerlich in den Blick
„Muss der Enkel unbedingt dabei sein? Er kann doch gar nicht still sitzen.“
Und doch entstehen gerade durch Kinder Momente, die unfreiwillig unvergesslich werden. Eine Kinderstimme, die mitten in der Stille etwas Banales, aber Lautes ruft, verändert den ganzen Raum. Ich erinnere mich an meinen kleinen Cousin, der während einer Messe den Pfarrer beim Heben des Kelchs beobachtete und plötzlich rief: „Der trinkt Bier! Der trinkt Bier!“ Es war keine Beerdigung, sondern eine gewöhnliche Messe. Aber die Szene zeigt, wie schmal der Grat ist zwischen Unschuld, Peinlichkeit und einem Lächeln, das niemand erwartet hat.
Wer gehört wohin?
Alles wird wahrgenommen: der Gang zum Platz, die Körperhaltung, selbst eine leise Träne. Trauerfeiern sind keine Räume der Stille, sie gleichen Bühnen für die Urteile der anderen.
Vorne beginnt die erste Reihe, sich zu sortieren. Ein leises Flüstern: „Wer gehört wohin?“ Darf der ehemalige Partner dort Platz nehmen? „Ich war der erste Mann, ich gehöre dazu.“ Nähe wird in Sitzordnungen verhandelt, als könnten Stühle darüber entscheiden, wer wichtig war. Gleichzeitig bleiben andere draußen, Freunde etwa, die den Verstorbenen tatsächlich getragen haben. Menschen, die offiziell nicht dazugehören. Türen öffnen und schließen sich.
Stille Trauer
Und es gibt die stille Trauer. Sie bleibt unsichtbar, weil sie nicht sichtbar sein darf. Manchmal trauern Menschen im Verborgenen, weil sie keinen offiziellen Platz in dieser Sitzordnung haben und auch nicht im Ritual. Die Geliebte, der Geliebte, die heimliche Freundin oder der heimliche Freund. Für sie ist kein Stuhl reserviert. Nach außen herrscht Stille, nach innen tobt der Sturm. Trauer, die sich nicht zeigen darf, bleibt verborgen und ungeteilt.
Geiz und Neid im Erbfall
Am Grab taucht ein neuer Satz auf: „Jetzt kommen sie alle aus ihren Löchern, sie wollen bestimmt erben.“ Die Blicke wandern zu den Kindern. „Sie haben nie gepflegt, aber beim Geld sind sie die Ersten.“ Manchmal ist es bitter, manchmal stimmt es vielleicht sogar. Und manchmal gibt es gar nichts zu verteilen außer Schuldgefühlen, Erinnerungsstücken und einer Rechnung, die jemand begleichen muss.
Auch das ist Teil der Wirklichkeit. Ein würdevoller Abschied mit kleinem Budget ist möglich, er erfordert allerdings Fingerspitzengefühl und den Mut, nicht auf die tuschelnden Stimmen zu hören, wenn kein Meer aus Blumen auf dem Sarg liegt.
Erinnerungskosmetik
Es gibt noch eine weitere Gestalt, die bei Trauerfeiern auftaucht: den Verstorbenen, den angeblich alle gekannt haben. Aus einem schwierigen Charakter wird plötzlich ein Engel. „War er wirklich so herzlich? Ich habe ihn anders erlebt.“ Vielleicht hat beides seine Wahrheit. Vielleicht lernen wir, dass eine Rede nicht dazu dient, jemanden heiligzusprechen, sondern Facetten zu zeigen. Erinnern bedeutet nicht beschönigen. Erinnern heißt, einzuordnen, damit die, die bleiben, weiteratmen können.
Pietät
Nach dem letzten Lied bewegt sich die Menge hinaus. Jemand hebt sein Handy und sagt: „Lasst uns den Moment festhalten, ein Foto, schnell, alle zusammen.“ Man spürt, wie die Luft dünn wird. Nähe kippt, Grenzen verschwimmen. Manchmal ist es plumpe Taktlosigkeit, manchmal schlicht Unbeholfenheit. Beides tut weh.
Leichenschmaus
Beim Beerdigungskaffee füllen sich Tassen und Teller. Vorhin noch Tränen, jetzt wieder ein Lachen:
„Sie ist aber schnell wieder fröhlich, also kann der Schmerz ja nicht groß sein.“
„Er sitzt schon wieder beim Bier.“ (damit ist übrigens nicht der Pfarrer gemeint)
Manche lachen, weil sie kurz atmen müssen. Andere sitzen still und werden gerade dafür verurteilt. Nach der Beerdigung ist vor der Bewertung.
Bedeutung
Es gibt Gedanken, die kaum jemand laut äußert. Männer erscheinen häufig still, wirken neutral, manchmal würdevoll, manchmal abwesend. Doch innerlich laufen ihre Fragen: „So viele Menschen wie hier würden bei mir nicht kommen.“ Auch das ist Trauer. Der geheime Vergleich. Die unausgesprochene Frage nach der eigenen Bedeutung im Leben anderer.
Wer ist wichtig?
Manche Familien zeichnen innerhalb weniger Stunden eine neue Landkarte. Hier die eine Seite, dort die andere. Man weiß genau, wen man heute nicht sehen möchte. Man überlegt, ob diese Person wirklich neben einem stehen sollte. Man erinnert sich an den letzten Streit. Gleichzeitig drängt sich die Frage auf: War das der Wunsch des Verstorbenen? Wollte sie es bunt oder still? Wollte er Musik oder lediglich einen Psalm? Und wenn die Beerdigung eiskalt abgewickelt wird, Augen zu und durch, spürt man, wie viel ungesagt geblieben ist.
Abschied mit Hürden
Und es gibt die aggressive Trauer. Sie entsteht, wenn man nicht im Frieden auseinandergegangen ist, sondern im Gegenteil: wenn der Abschied von einem Bruch geprägt war. Manchmal äußert sich das in Worten, die noch verletzen sollten. In Wut, die am Sterbebett herausbricht. In einer letzten Distanz, die man nicht mehr überwinden wollte, obwohl die Möglichkeit vielleicht da war.
Oft liegt dahinter ein Leben voller Streit, Enttäuschungen oder unausgesprochener Bitterkeit. Der Verstorbene hatte vielleicht nicht mehr die Kraft, die Hand zu reichen. Und der Zurückbleibende nicht die Größe, zu verzeihen. So bleibt Groll zurück, zusammen mit der Erkenntnis, dass man dennoch trauert, gerade weil der Mensch trotz allem Bedeutung hatte.
Manchmal war dieser Mensch ohnehin jemand, der in seinem Leben viel Zorn ausgelöst hat. Jemand, den andere als schwierig, vielleicht sogar als ungerecht oder hartherzig erlebt haben. Und doch geschieht es in dem Moment des Abschieds, dass man ihn verteidigt. Dass man sagt: „Er hatte auch gute Seiten.“ Selbst wenn man innerlich spürt, dass die Kritik stimmt. Manchmal will man den Verstorbenen gegen andere in Schutz nehmen, vielleicht, um die eigene Härte wieder auszugleichen. Vielleicht auch, weil man merkt, dass die eigene Aggression nicht das letzte Wort sein soll.
Aggressive Trauer zeigt, wie sehr Liebe und Wut nebeneinanderstehen können. Wie schwer es ist, Abschied zu nehmen, wenn man nicht mit Wärme loslassen konnte, sondern mit dem Gefühl, verletzlich und allein zu sein.
Der Verstorbene im Fokus
Und doch geht es bei jeder Trauerfeier um den Menschen, der gegangen ist. Um die Mutter, die ihre Kinder mit Liebe und Urvertrauen versorgt hat. Um den Vater, der Verantwortung getragen und Großes geleistet hat. Um die Freundin, die immer ein offenes Ohr hatte. Um den Partner, der Freude und Wärme geschenkt hat.
Trauer bedeutet auch, sich an die Momente zu erinnern, die niemand nehmen kann: an das Lachen, das noch im Ohr klingt, an die Hand, die gestützt hat, an das Wort, das Mut gegeben hat.
Jeder Abschied ist auch eine Sammlung von Geschichten, kleinen Anekdoten, Gesten, Augenblicken, die zeigen, wie viel dieser Mensch gegeben hat.
Vielleicht bleibt am Ende die Frage: Warum musste er gehen, wo er doch so viel Liebe in die Welt getragen hat?
Aber genau diese Liebe ist es, die bleibt.
Trauernde hinterfragen sich selbst
„Warum weine ich nicht?“
„Wirke ich gefühllos?“
„Tue ich zu viel?“
„Tue ich zu wenig?“
„Bin ich richtig, so wie ich gerade bin?“
Man meint, Blicke zu spüren, die vielleicht gar nicht existieren. Man hört Sätze, die möglicherweise niemand gesagt hat. Das Urteil von außen zieht in den inneren Raum ein.
Alles Kulisse?
Und ja, es gibt auch jene, die nur wegen der Show erscheinen. Menschen, die Dramen sammeln, Geschichten weitererzählen, die ihnen nicht gehören. Es passiert. Und es zerstört zumindest für diesen Tag etwas. Vielleicht hilft dann ein einziger Satz, der Grenzen setzt: Heute geht es nicht um dich.
Wie könnte es anders gehen? Man könnte fragen: „Wie geht es dir wirklich?“ Man könnte aushalten: Stille, Wut, Lachen, Tränen – oder gar nichts von alledem. Man könnte akzeptieren, dass Trauer keine Norm kennt. Und man sollte sich daran erinnern, dass der Abschied dem Verstorbenen dienen soll, der gegangen ist, und den Menschen, die zurückbleiben. Alles andere ist Kulisse.
Fazit
Vielleicht ertappen wir uns beim Lesen. Vielleicht haben wir einen dieser Gedanken selbst schon gehabt oder ausgesprochen. Das ist kein Urteil über uns, sondern eine Einladung, es beim nächsten Mal anders zu versuchen: weniger kommentieren, mehr da sein. Weniger vermuten, mehr fragen. Weniger schauen, wer in der ersten Reihe sitzt, mehr sehen, wer gerade Halt braucht.
Trauer ist nicht perfekt. Sie ist menschlich. Und genau deshalb braucht sie uns.
In Liebe an Opa Heinz (der immer um halb drei zum Spielen kam), Opa Ludwig (der mir Hürden in den Weg stellte und mich lehrte, sie zu überwinden) und alle Menschen, die mich gefragt haben: wie geht es dir wirklich?
Kategorien
Archiv
Schlagwörter